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Gastfamilienprojekt für ukrainische Geflüchtete

Murielle Eigner leitet das Gastfamilienprojekt für ukrainische Geflüchtete des SAH Zürich. In Zürich trafen zu Beginn des Krieges besonders viele Geflüchtete ein, darum war der Kanton speziell gefordert. Das Projekt wurde ab März 2022 zunächst vom Schweizerischen Roten Kreuz aufgebaut und kurze Zeit später vom SAH Zürich übernommen. Schweizweit koordiniert die Schweizerische Flüchtlingshilfe das Projekt in Zusammenarbeit mit Campax. Die Auftraggeberin ist das Staatssekretariat für Migration (SEM).

Aktuell hat sich die Situation in gewissen Regionen der Ukraine beruhigt, wodurch bedeutend weniger Geflüchtete in die Schweiz kommen. Ausserdem hat der Kanton Zürich bereits mehr Menschen aufgenommen, wie er gemäss Verteilschlüssel müsste. Dadurch ist es momentan sehr ruhig bei der Vermittlungsstelle. Doch das war nicht immer so. Hier ein Einblick in die ersten Wochen des Projektes im März und April:

Wie sieht ein typischer Arbeitstag von Ihnen aus?
Mein Arbeitstag startet um 9.00 Uhr im Bundesasylzentrum in Zürich. Neben dem Vermittlungsalltag bin ich mit dem Aufbau des Projekts beschäftigt, darum bewältige ich zuerst die alltägliche Mailflut. Um 10.00 Uhr treffen die Vermittler*innen und Dolmetschenden ein. Nach einem kurzen Briefing sind wir startbereit. Die Dossiers bekommen wir von der Triagestelle des Unterbringungsdesks, denn nicht alle Geflüchteten können bei Privatpersonen untergebracht werden.
Etwa um 18.00 Uhr hören wir auf. Wann immer möglich setzen wir uns alle für ein kurzes Debriefing zusammen. Diese abendliche Befindlichkeitsrunde ist mir sehr wichtig, denn die Arbeit kann emotional sehr belastend sein.

Was sind das für Personen, die ihr an Privathaushalte vermittelt?
Wer auch immer zu uns kommt. Wir vermitteln lediglich keine unbegleiteten Minderjährigen in private Unterkünfte und auch keine sehr kranken, gebrechlichen oder pflegebedürftigen Personen, damit den Gastfamilien nicht zu viel Verantwortung zugemutet wird. Das sind unsere einzigen Bedingungen.

Wie wissen Sie, welche Familien zusammenpassen?
Sobald wir ein Dossier erhalten, beginnen die Vermittler*innen mit dem „Matchen“: Die Geflüchteten werden zuerst nach ihren Bedürfnissen bezüglich Wohnen gefragt, zum Beispiel ob sie Haustierallergien haben oder körperliche Einschränkungen, wodurch etwa Treppensteigen schwierig ist. Auch fragen wir sie nach ihren Wünschen, Berufen und Hobbies, um noch einige persönliche Infos zu haben. 

Wie geht es nach diesen Gesprächen weiter?
In der Datenbank von Campax suchen wir dann nach einer geeigneten privaten Unterkunft bei einer Familie oder Einzelperson. Schweizweit stehen aktuell rund 65'000 Betten (Stand April 2022) in privaten Unterkünften zur Verfügung, doch wir vermitteln nur im Kanton Zürich. In der Datenbank gibt es nicht immer genügend Informationen über die Unterkünfte. Also rufen wir die potenzielle Gastfamilie an und fragen zunächst, ob das Angebot noch aktuell und per sofort verfügbar ist. Zum Glück ist das meistens der Fall. Wir erzählen, was wir über die geflüchteten Personen wissen und klären ab, ob die Räumlichkeiten ausreichend sind. Natürlich fragen wir ebenfalls nach einigen persönlichen Dingen, um auch den Geflüchteten etwas «Menschliches» erzählen zu können. Wenn alles passt, wird Zeit und Ort für das Zusammentreffen vereinbart.
Im Anschluss erzählen wir den Geflüchteten von der Gastfamilie und ob sie sich vorstellen können, für die nächsten drei Monate dort zu wohnen. Falls ja, erklären wir ihnen, wann sie umziehen können, wo sie die Gastfamilie treffen und geben ihnen allgemeines Informationsmaterial über das Ankommen in der Schweiz mit.

In den ersten zwei Wochen des Projektes machten Mitarbeitende des SAH Zürich zur Qualitätssicherung der Platzierungen Erstbesuche in den Gastfamilien. Seit dem 1. April ist im Kanton Zürich das Rote Kreuz für die punktuelle Begleitung der Gastfamilien zuständig.

 
Was sind die grössten Herausforderungen?
Da wir in die Prozesse vom Bundesasylzentrum und dem Staatssekretariat für Migration eingebunden sind, können wir unseren Alltag nur bedingt selbst steuern. Eine grosse Herausforderung ist es, flexibel zu reagieren, was auch immer der Tag mit sich bringt. Auch die emotionale Belastung ist teilweise hoch. Manche der Geflüchteten waren noch wenige Tage zuvor in Gebieten mit schweren Gefechten. Die Erlebnisse, die sie mit uns teilen, gehen mir sehr nahe.

Welche Situation hat Sie am meisten berührt?
Puh, da kommen mir unzählige Situationen in den Sinn... Allgemein berührt mich die Solidarität der Schweizer Bevölkerung sehr. Es ist wunderschön, wie Gastfamilien ihr Zuhause für die ukrainischen Geflüchteten öffnen und sie willkommen heissen. Umgekehrt ist es die Reaktion der Geflüchteten, wenn wir ihnen von ihrem neuen Zuhause für die nächste Zeit erzählen, die mir immer wieder Gänsehaut beschert. Das Vertrauen, das uns von beiden Seiten entgegengebracht wird, ist unglaublich. Uns erreichen ab und zu Nachrichten und Fotos aus den Gastfamilien, bei denen mir das Herz aufgeht. Insgesamt konnten wir schon für über 500 Geflüchtete (Stand April 2022) einen Platz in einer privaten Unterkunft finden, das macht uns stolz. Aufgrund der positiven Erfahrungen, die jetzt gemacht werden, hoffe ich sehr, dass die Solidarität noch lange anhält und das Projekt künftig für Geflüchtete aus aller Welt geöffnet wird.

 

Das Interview wurde Mitte April 2022 vom SAH Schweiz geführt. Herzlichen Dank, dass wir es auch hier mit kleineren Anpassungen veröffentlichen dürfen.

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